EuGH-Urteil C-482/21 vom 09.02.2023 – Auswirkungen auf die MwSt.-rechtliche Behandlung von Entschädigungsleistungen durch Kreditversicherer

In Randziffer 40 des Urteils stellt der EuGH bezogen auf den vorgelegten ungarischen Fall fest: Die Entschädigungsleistung eines Kreditversicherers ist im Hinblick auf die Mehrwertsteuer (MwSt.)-Pflicht der Gegenleistung des Abnehmers einer Lieferung/Leistung gleichzusetzen. Eine „Nichtbezahlung“ und damit die Voraussetzung für eine Rückerstattung gemäß Art. 90 Abs. 1 MwSt.-Richtlinie¹ liegt daher nicht vor.

Bisherige Praxis

Über Jahrzehnte war es in Deutschland üblich, bei Inlandsverträgen die MwSt. mitzuversichern. Da die MwSt. beim Ausfall eines Umsatzes in den meisten Ländern – so auch in Deutschland – von der Finanzbehörde zurückerstattet wird, lag der Selbstbehalt mit 25 % vergleichsweise hoch, jedoch eben bezogen auf die Brutto-Forderung. Im Hinblick auf die Netto-Forderung lag der (effektive) Selbstbehalt folglich jedoch nur bei 10,75 % (bei 19 % MwSt.) durch die Erstattung der MwSt.

Heute ist es Praxis, die Netto-Forderung mit 10 % Selbstbehalt abzusichern. Eine Ausnahme hiervon bilden lediglich Länder, in denen die MwSt. nicht oder nur unter sehr engen Voraussetzungen zurückerstattet wird – hier wird häufig unter Einschluss der MwSt. und mit niedrigem Selbstbehalt von 10 % versichert. Der vorgenannte Effekt des sich durch eine Erstattung reduzierenden Selbstbehalts bezogen auf die Netto-Forderung tritt in dieser Konstellation nicht ein.

Das EuGH-Urteil

Der EuGH wurde aufgrund von Entscheidungen der ungarischen Vorinstanzen angerufen. Diese lehnten in einem Fall, in dem die MwSt. explizit mitversichert wurde, die von Allianz Trade Ungarn beantragte Rückerstattung des MwSt.-Betrages, der auf den vom Versicherer entschädigten Betrag entfiel, ab. Die Entscheidung der Vorinstanz wurde mit der Tatsache begründet, dass der Versicherer die Umsätze nicht getätigt habe und somit trotz erfolgter Abtretung der entschädigten Forderungen an die Allianz nicht Rechtsnachfolger des Steuerpflichtigen sei und damit auch nicht anspruchsberechtigt.

Der ursprüngliche Grund, die MwSt. in Ungarn mitzuversichern, nämlich die fehlende Möglichkeit der Rückerstattung im Fall der Nichtzahlung des Abnehmers, ist inzwischen zwar entfallen, aber für kreditversicherte Lieferanten ist die Mitversicherung aufgrund dieses neuen Urteils weiterhin empfehlenswert, da sie damit rechnen müssen, die auf die Entschädigungsleistung entfallende MwSt. nicht rückerstattet bekommen zu können.

Trotzdem ist das Urteil des EuGH auch für die Zukunft relevant und brisant, da es die grds. Möglichkeit für die Mitgliedsstaaten bestätigt, den Rückerstattungsanspruch in gewissen Konstellationen zu verneinen.

Übersicht

Deutschland

  • Keine Änderung im Hinblick auf die MwSt.-Erstattung

Österreich und Ungarn

  • Keine MwSt.-Erstattung für Beträge, für die eine Entschädigungsleistung geflossen ist

 

Auswirkungen

Wie sich die vorgenannten Sachverhalte auswirken, ist abhängig davon, in welchem Land Versicherungsnehmer und Abnehmer ihren Sitz haben. Grenzüberschreitende Umsätze sind nicht betroffen.

Auswirkungen in Österreich

Der österreichische Kreditversicherer Acredia hat sich hierzu geäußert. Bisher sei die Entschädigungsleistung eines Kreditversicherers in Österreich als nicht-MwSt.-pflichtiger Schadenersatz betrachtet worden. Die Rückerstattung der MwSt. beim Ausfall eines Abnehmers sei daher unabhängig vom Erhalt einer Entschädigungsleistung möglich gewesen.

Österreich habe lt. Acredia auf das o. g. Urteil des EuGH durch den UStR.-Wartungserlass 2023² reagiert. Die Folge sei, dass die MwSt. im Fall des endgültigen Ausfalls des Abnehmers anteilig bezogen auf die gezahlte Entschädigung von der Finanzbehörde nicht mehr rückerstattet werde – unabhängig davon, ob die MwSt. wie in dem Fall, auf den sich die EuGH-Entscheidung bezieht – mitversichert sei oder nicht. Die Rückerstattung durch die Finanzbehörde sei somit nur bezogen auf die Selbstbeteiligung und einen eventuell unversicherten Forderungsteil möglich. Hierdurch erhöhe sich der vom Kreditversicherungsnehmer zu tragende Teil des Schadens, sofern er nur die Netto-Forderung versichert habe. Dieser nachteilige Effekt könne durch die Mitversicherung der MwSt. in Verbindung mit einem niedrigen Selbstbehalt vermieden werden. Dies erhöhe allerdings die Bemessungsgrundlage für die Prämie.

Wichtig: ‚Alte Brutto-Verträge‘, die die MwSt. noch in Verbindung mit einem hohen Selbstbehalt (z. B. 25 %, s. o.) einschließen, sollten entsprechend angepasst werden.

Auswirkungen in Deutschland

Zwischenzeitlich wurden wir offiziell von Atradius – einem der in Deutschland führenden Kreditversicherer – darüber informiert, dass nach Atradius‘ Ansicht Auswirkungen dieser Rechtsprechung lediglich für MwSt.-Pflichtige in Staaten mit einer Ungarn bzw. Österreich ähnlichen MwSt.-Gesetzgebung herbeigeführt wurden. Die in der EuGH-Entscheidung vertretene Auffassung hat bislang keinen Eingang in deutsche Gesetze oder Verordnungen gefunden. Anzeichen, dass dies bevorsteht, sind uns nicht bekannt. Es gilt somit weiterhin der bisherige Umsatzsteueranwendungserlass³, gemäß dem die Entschädigungsleistung eine nicht MwSt.-pflichtige Ersatzleistung ist. Die MwSt. ist daher weiterhin erstattungsfähig; es ist hierfür unerheblich, ob der Lieferant eine Entschädigungsleistung eines Kreditversicherers erhalten hat.

Sofern Sie ungarische oder österreichische Gesellschaften in Ihren Kreditversicherungsverträgen mitversichern oder diese aufnehmen und die von uns oben skizzierte Lösung umsetzen wollen, sprechen Sie uns bitte an.

 

  ¹ Art. 90 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame MwStsystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 (ABl. 2010, L 189, S. 1) geänderten Fassung
 ² www.bmf.gv.at/dam/jcr:719315aa-60f4-4bd7-a8b7-5bf728f76c47/UStR-Wartungserlass_2023_Begutachtungsentwurf.pdf
 ³ A 1.3 Abs. 7 S. 1 UStAE www.haufe.de/personal/haufe-personal-office-platin/umsatzsteuer-anwendungserlass-13-schadensersatz_idesk_PI42323_HI13586380.html

 

 

 

 

 

09.04.2024

Ihr Kontakt

Sebastian Kentenich Ansprechpartner bei Funk

Sebastian Kentenich

+49 40 35914-0