„Wir brauchen eine Fehler-Lern-Kultur!“

Starke Menschen, starke Unternehmen, starke Ergebnisse – Boris Grundl spricht im Interview darüber, welche Fähigkeiten Führungskräfte entwickeln sollten, wenn sie ihre Mitarbeitenden erfolgreich durch Veränderungsprozesse führen wollen.

Boris Grundl

Boris Grundl, Jahrgang 1965, ist nicht nur Speaker, sondern auch Autor und Managementtrainer: Er ist immer dann gefragt, wenn es um Persönlichkeitsentwicklung, Selbstverantwortung und die Führung von Mitarbeitenden geht. Bei einem Klippensprung in Mexiko verletzte Grundl sich 1990 so schwer, dass er seitdem auf den Rollstuhl angewiesen ist. Trotz des Unfalls trieb er weiter Leistungssport (unter anderem: Rollstuhlrugby und Rollstuhltennis) und gründete das Grundl Leadership Institute.

Herr Grundl, Sie sind einer der erfolgreichsten Führungsexperten und Managementtrainer Deutschlands. Was ist Ihr Erfolgskonzept? Was treibt Sie an?

Das Erleben von Sinn. Die Antwort auf die Frage „Wofür bin ich gemeint worden?“. Diese Frage ist besonders seit meinem Unfall ständiger Begleiter. Gleichzeitig ist es eine Gnade, wenn aus einem Beruf eine Berufung wird. Dieses Glück hat mich ereilt. Erst war es ein innerer Ruf, eine Suche nach Antworten und Sinn. Lange hatte ich Angst, nicht gut genug zu sein. Damit habe ich mich und andere oft überfordert. Das hätte ich gern früher erkannt und davon losgelassen. Am Ende wurde die Idee jedoch größer als ich selbst und meine Mission immer klarer: Ich möchte anderen zu Wachstum, Kraft und Größe verhelfen.

In einer sich stetig verändernden Welt ist Changemanagement von großer Bedeutung. Woran liegt es, dass ein großer Teil der Maßnahmen zur Umsetzung von Veränderungen erfolglos bleibt?

Veränderungskompetenz ist die Lust an geistigem Wachstum. Viele Menschen überfordert es jedoch, anders zu denken. Weil es psychologische Unsicherheit auslöst. Dann versuchen sie, eine emotionale Herausforderung intellektuell zu meistern. Sie missachten den Unterschied zwischen intellektuellem und emotionalem Verstehen. Der Intellekt denkt, er kann es. Ob das stimmt, beweisen aber erst die Ergebnisse. Intellektuell verstehen wir Menschen die Notwendigkeit von Veränderung und wie sie gelingen kann. Wer eine Diät machen will, weiß genau, dass er weniger essen sollte. Aber die emotionale Einsicht ist der schwere Teil an der Sache. Bei vielen hapert es an der Fähigkeit, emotional flexibel mit Veränderungen umzugehen – also wirklich nur noch die Hälfte essen zu wollen.

Eines Ihrer Bücher trägt den Titel „Verstehen heißt nicht einverstanden sein“. Was genau meinen Sie damit?

In den Werteanalysen unseres Instituts stellen wir Folgendes fest: Menschen wollen lieber von anderen verstanden werden als selbst verstehen. Denken aber, dass sie lieber verstehen wollen. Dadurch entstehen unnötige Konflikte, weil beide Gesprächspartner das gleiche Bedürfnis haben und auf das Verständnis des Gegenübers warten. Gleichzeitig denken beide Parteien, sie selbst würden den anderen ja verstehen wollen. Dabei kreisen sie emotional nur um sich selbst. Die meisten denken, dass sie nachgeben müssen, wenn sie etwas verstehen. Dem ist aber nicht so. Man kann andere verstehen, ohne mit deren Denken und Tun einverstanden sein zu müssen. Diese Erkenntnis ist der Durchbruch zur wirklichen Verbindung mit anderen Menschen. Und somit im Leadership. Das ist vielen nicht bewusst.

Was sind nach Ihrer Erfahrung die häufigsten Gründe, weshalb das erforderliche Engagement von Mitarbeitenden fehlt?

Mitarbeitende sind viel mächtiger, als wir denken – wenn Führungskräfte sie ernst nehmen und fördern. Unternehmen müssen verstehen, dass die geistige Entwicklung der Angestellten zu sehr großem Mehrwert führt. Starke Menschen, starke Unternehmen, starke Ergebnisse. Lippenbekenntnisse reichen hier nicht, Führungskräfte brauchen wirkliche Einsicht.

Welche Kompetenzen sollten Führungskräfte haben, um Mitarbeitende zu motivieren und belastbarer zu machen?

Die Fähigkeit und Kraft zur Resilienz entstehen automatisch, wenn es Menschen gelingt, alle inneren Widerstände gegenüber einer sich ständig ändernden Gegenwart rauszunehmen und aufzulösen. Die Kunst ist, sich emotional komplett auf das einzulassen, was da ist. Wenn Führungskräfte diese Haltung selbst ausleben, vorleben und fördern, dann stärken sie auch ihre Teams. Diese Kraft wirkt auf andere sehr anziehend und motiviert für neue Herausforderungen.

Wie wichtig ist in Ihren Augen eine gute Balance aus Zielvorgaben und der Förderung der Gestaltungsfreiräume von Mitarbeitenden?

Sie legt die Basis. Was bei dieser Balance hilft, ist Ergebnisorientierung. Sie bedeutet für einen Auszubildenden jedoch etwas anderes als für einen Abteilungsleiter oder Inhaber. Das Thema ist das gleiche, das Bewusstsein verschieden. Damit jeder weiß, worum es geht, brauchen alle Beteiligten eine glasklare Vorstellung, welche Ergebnisse erreicht werden sollen. Denn wer nicht genau weiß, was von ihm erwartet wird, tut eben das, was er für richtig hält. Der Weg dahin bleibt hingegen flexibler. In unserem Führungssystem definiert die funk forum Oktober 2022 funk forum Oktober 2022 22 Horizont Horizont 23 Zum Weiterlesen In seinem ersten Buch „Leading Simple© – Führen kann so einfach sein“ (2007) beschreibt Boris Grundl gemeinsam mit Bodo Schäfer systematisch den Beruf der Führungskraft und macht ihn erlernbar. Das Werk legt die Basis des Grundl Leadership Instituts und bestimmt Grundls Position als Führungsexperte. ergebnisorientierte Aufgabenbeschreibung, kurz EOA, das Zielbild. Solch eine EOA auszuarbeiten ist sowohl für Führungskräfte als auch Mitarbeitende fordernd. Der Aufwand lohnt sich aber. Die Klarheit der Zukunft im Kopf auf beiden Seiten hilft bei der Orientierung sehr.

Sie haben bei sich selbst früh entdeckt, dass Sie andere Personen führen wollen. Wie erkennt eine Person, ob sie die Kompetenzen und vor allem den Willen hat, die Verantwortung einer Führungskraft zu übernehmen?

Ich selbst wollte gar nicht unbedingt führen. Ich habe meine Fähigkeit, andere entwickeln zu können, eher entdeckt als angestrebt. Und dann dieses Ergebnis lieben gelernt. Grundsätzlich geht es um die Freude am Wachstum anderer. Wie wenn das eigene Kind ohne Stützräder Fahrradfahren lernt. Wer eine gute Führungskraft werden will, muss unbedingt zwischen Fachkompetenz und Führungskompetenz unterscheiden. Ersteres bedeutet, sich selbst weiter nach vorn zu bringen. Führungskompetenz impliziert die Lust, andere zu entwickeln. Beides ist trainierbar.

Sie sprechen in Ihren Büchern davon, dass in deutschen Unternehmen eine Fehlerkultur verankert ist. Was verstehen Sie vor diesem Hintergrund unter aktiver und passiver Verantwortung?

Man achte auf das Wort: Fehler-Kultur. Wir brauchen keine Kultur mit Fehlern. Wir brauchen eine Fehler- Lern-Kultur! Die meisten Menschen vermeiden es, Irrtümer zuzugeben, aus Angst vor Kritik, Abwertung, Bloßstellung, Scham. Dabei sind Fehler oft gut. Erst der unwirksame Umgang mit ihnen ist das eigentlich Fehlerhafte. Er mündet häufig darin, dass Menschen keine Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen wollen. Das zeigt sich dann in der Unternehmenskultur. Sie wird primär durch Eigenschaften und Verhalten der Führungskräfte und dann durch die Mitarbeitenden sichtbar. In charakterarmen Organisationen dominiert die passive Verantwortung. Sie wartet auf Aufforderung: Sag mir, was ich tun soll! Diese Menschen denken weniger an Unternehmenszweck und Kundenwerte, sondern schauen auf den eigenen Vorteil. Sie verhalten sich rechtfertigend und versuchen, Eigenrisiko zu vermeiden. Starke Organisationen leben jedoch aktive Verantwortung: Sie wird aus sich selbst heraus gesucht, gefunden, besprochen, definiert und sinnvoll aufgeteilt. Eine gesunde Firmenkultur ist zu zwei Dritteln aktiv und zu einem Drittel passiv. Überwiegt die passive Verantwortungsübernahme, wird ein Unternehmen kulturell krank. Für einen besseren Umgang mit Fehlern brauchen wir eine Transformation von Misslingen in Gelingen. Oder kurz, auch wenn sich das heftig anhört: Scheiße fressen, Gold ausspucken. Die meisten sichern sich zu viel ab, um selbst gut dazustehen. Das lähmt Entwicklung.

Was kann ein Unternehmen tun, damit die Übernahme von Verantwortung für seine Mitarbeitenden attraktiver wird?

Beim Thema Verantwortung stoßen wir auf zwei Prinzipien: Lust und Pflicht. Lust gibt Energie – sie hilft, eine Aufgabe verantwortungsvoll zu erfüllen. Pflicht hingegen löst Flucht aus – Menschen weichen der Aufgabe intuitiv aus, nichts wie weg. Um die Gegensätze zu transformieren, helfen die sechs Stufen des Verantwortungsbewusstseins, wie sie im Führungssystem Leading Simple enthalten sind. Wenn Firmen diese Stufen zum Zentrum ihrer Firmenkultur machen, kann jeder wahrnehmen, wie Personen oder Gruppen in der aktuellen Situation verantwortungsbewusst sind.

Privat sind Sie Ehemann und Familienvater. Wie bringen Sie Beruf und Familie in Einklang?

Indem ich mich selbst ständig weiterentwickle; Dinge übernehme, systematisiere und in andere Hände gebe. So werde ich Schritt für Schritt zum Privatier. Ich lebe jetzt schon drei Monate im Jahr in Spanien und reduziere meine persönliche Anwesenheit konsequent. Ich beantworte die Frage „Wie mache ich mich überflüssig, während die Ergebnisse immer besser werden?“. So leicht die Frage gestellt ist, so schwer ist die Umsetzung der Antworten.