„Im vergangenen Jahr haben wir gesehen, wie viel geht“
Digitalisierung, Bildung, Gleichberechtigung – das sind nur einige der Themen von Verena Pausder. Im Interview schildert die Unternehmerin, wie sie sich das „Neue Land“ vorstellt.
Verena Pausder
Verena Pausder ist eines der bekanntesten Gesichter der Gründerszene in diesem Land. Dynamisch, neugierig, klug, umsetzungsstark. Expertin für digitale Bildung, Gründerin von Fox & Sheep und den HABA Digitalwerkstätten. 2016 wurde sie vom Weltwirtschaftsforum zum „Young Global Leader“ ernannt. Kindern chancengleichen Zugang zu digitaler Bildung zu ermöglichen, ist in ihren Augen eine der Kernvoraussetzungen für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Dafür hat sie 2017 den Digitale Bildung für Alle e. V. gegründet. 2018 erfolgte die Aufnahme in die „Forbes Europe’s Top 50 Women In Tech“-Liste. 1979 in Hamburg geboren, lebt sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Berlin.
Ihr Buch heißt „Das Neue Land. Wie es jetzt weitergeht“. Was stimmte denn mit dem „alten Land“ nicht?
Uns fehlt der Mut, einfach mal zu machen. Wir haben in Deutschland kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Wir wissen, was noch nicht gut läuft, und es gibt viele kluge Lösungsideen, nur bisher zu wenig Macherinnen und Macher. Und genau die wünsche ich mir für das Neue Land. Wir können es uns heute nicht mehr erlauben, bis zum letzten Detail an einer Idee zu feilen, bevor wir über sie auch nur sprechen. Dafür ist die Welt zu schnell geworden. Wir müssen uns alle mehr trauen – in der Politik, in der Wirtschaft, im Privaten –, um große Herausforderungen wie Klimakrise, Digitalisierung und Gleichberechtigung gemeinsam anzugehen.
Im Neuen Land gelten neue Regeln, die Verhältnisse sind deutlich komplexer. Da müsste es doch gerade für Unternehmen schwieriger werden, vom Planen ins Handeln zu kommen. Wie trifft man schnelle Entscheidungen im Neuen Land? Was ist da Ihr Rezept?
Es gibt kein Patentrezept, aber drei Aspekte können helfen:
Erstens: Offen für neue Ideen sein, auch von außerhalb, auch von jüngeren Teammitgliedern.
Zweitens: Sich trauen, andere Menschen nach Rat zu fragen und dann schnell zu entscheiden.
Drittens: Früh loslegen und die Idee oder Entscheidung am Markt beziehungsweise im realen Setting testen.
Lieber nachsteuern als nie loslegen.
Mutanfälle und Mutausbrüche
Sie fordern zu „Mutanfällen“ und „Mutausbrüchen“ auf. Welchen Spirit braucht das Neue Land? Können Sie das etwas genauer beschreiben?
Im Neuen Land stehen wir nicht mehr nur an der Seitenlinie und sind über 80 Millionen Hobby-Trainer*innen, die der Bundesregierung schlaue Ratschläge zurufen. Im Neuen Land packen wir an und übernehmen Verantwortung. Das heißt auch, dass wir andere nicht so schnell verurteilen, wenn mal etwas nicht klappt. Und wir gucken über unseren Tellerrand. Eine Idee für das Neue Land ist dafür beispielsweise das Politicians-in-Residence-Programm: Dabei geht man für eine begrenzte Zeit und berufsbegleitend in das Team eines oder einer Abgeordneten. Man unterstützt mit seiner Expertise und gewinnt Einblicke in den Politik-Alltag.
Eines Ihrer zentralen Themen ist die Digitalisierung. Nun heißt es häufig, Deutschland sei digital längst abgehängt. Was muss sich ändern, damit wir wieder zu digitalen Vorzeigeländern wie den USA, Estland oder asiatischen Staaten aufholen können?
Wir müssen viel pragmatischer werden. Wir können uns weiter darüber aufregen, dass der Breitbandausbau nicht schnell genug geht, dass es Schulen an digitaler Infrastruktur mangelt oder Tech-Start-ups in den USA viel besser finanziert werden. Alles richtig. Aber: Im vergangenen Jahr haben wir doch vor allem gesehen, wie viel plötzlich geht. Die Krise war der größte Digitalisierungschub des letzten Jahrzehnts. Dieses Momentum, in dem dezentrales Arbeiten möglich wurde, in dem Lehrerinnen und Lehrer mit begrenzten Mitteln digitalen Unterricht auf die Beine gestellt haben, in dem selbst Oma und Opa Zoom-Profis wurden, müssen wir nutzen. Und mehr Pragmatismus würde ich mir auch von der Politik wünschen: eine unbürokratische Ausschüttung des Digitalpakts für Schulen zum Beispiel oder eine simple Positivliste, auf der alle digitalen Tools stehen, die wir in der Schule nutzen dürfen ohne weitere komplizierte Datenschutz- und Sicherheitschecks.
Sie sind Expertin für digitale Bildung. Es fehlt gerade in Deutschland an Programmierer*innen. Wie kann man mehr junge Menschen fürs Coding & Co. begeistern – insbesondere Mädchen?
Unsere Kinder lassen sich fürs Coding begeistern, wenn sie es einfach ausprobieren können. Deshalb gehört Programmieren auf den Stundenplan. Der zentrale Ort für digitale Bildung muss die Schule sein, auch um die Bildungsungerechtigkeit nicht weiter zu verschärfen. Gleichzeitig können wir auch zu Hause die Neugier wecken, zum Beispiel mit einer Zukunftsstunde. Eine Stunde die Woche – zum Beispiel immer sonntags von 17 bis 18 Uhr – setzen wir uns als Familie hin und entdecken und lernen gemeinsam. Eine Woche wird reihum eine VR-Brille aufgezogen, die nächste Woche eine neue Lern-App ausprobiert. So helfen wir dabei, dass unsere Kinder nicht nur digitale Konsumierende, sondern digitale Gestalterinnen und Gestalter werden. Und wir zeigen ihnen: Hey, wir wollen auch von euch lernen!
Das Neue Land
„Das Neue Land. Wie es jetzt weitergeht!“ So heißt das Buch von Verena Pausder, das bei Erscheinen sofort die „Spiegel“-Bestsellerliste eroberte. Außerdem wurde es als „Unternehmerbuch des Jahres“ ausgezeichnet. Das Buch ist im Murmann Verlag erschienen und kostet 20 Euro.
Sie sind auf Twitter sehr aktiv. Als im November 2020 die Nachricht kam, dass eine Quote für Vorstände in Dax-Unternehmen wohl kommen wird, haben Sie das mit „WOW!“ kommentiert. Können Sie Ihr „WOW!“ für uns einmal ausführen? Warum sind Frauen für die Wirtschaft im Neuen Land so wichtig?
Frauen in Vorständen sind ein Business Case, denn diverse Teams sind wirtschaftlich erfolgreicher. Das wissen wir schon lange, und trotzdem ist in den Vorstandsetagen wenig passiert. Dass wir jahrzehntelang keine Quote hatten, war das eigentliche wirtschaftliche Risiko – die Einführung der Quote ist es nicht. Mehr Frauen in Führungspositionen sind ein wirtschaftlicher Erfolgsfaktor und gleichzeitig ein wichtiges Symbol, dass wir es mit der Gleichberechtigung ernst meinen.
Vom Zehnmeterturm ins kalte Wasser
Es gibt ohne Frage viele Menschen, die Ihre Ideen eines Neuen Lands begrüßen und diese begeistert aufgreifen. Aber sicher gibt es auch die, die sagen: Mir ging’s im alten Land eigentlich ganz gut, ich brauche kein Neues Land. Wie überzeugen Sie diese von Notwendigkeit und Nutzen des Wandels?
Ich zeige ihnen, wie viel in uns und in unserem Land steckt. Wie viele Möglichkeiten wir haben, wenn wir sie nur nutzen. Wenn wir neue nachhaltige Unternehmensformen wie eine nGmbH möglich machen. Wenn wir Co-Generationenviertel etablieren. Ja, es braucht den Mut, vom Beckenrand – manchmal auch vom Zehnmeterturm – ins kalte Wasser zu springen. Aber es wird jedes Mal leichter.
In Ihrem Buch geben Sie viele konkrete Anregungen, wie das Neue Land aussehen soll. Wenn Sie sich jetzt eine Führungskraft in einem deutschen, mittelständischen Unternehmen denken, die dieses Interview liest: Was kann diese Führungskraft heute noch tun, um ihre Mitarbeiter*innen mit ins Neue Land zu nehmen?
In meinem Buch beschreibe ich die Idee des „Human Leadership”. Es geht vor allem darum, dass wir empathisch sind, transparent kommunizieren und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Entscheidungen mit einbeziehen. „Human Leadership” oder „New Work” hat nichts mit Kickern und Bällebädern im Büro zu tun. Im Kern geht es darum, „Best Work” möglich zu machen, also zu erkennen, was mein Team braucht, um am effektivsten arbeiten zu können, und dann entsprechende Freiräume zu geben: zeitlich, örtlich, inhaltlich.
Zum Schluss noch etwas Persönliches: Sie sind bereits als Kind in eine absolute Männerdomäne eingebrochen und haben Fußball gespielt. Wie war das für Sie, und was haben Sie auf dem Platz gelernt?
Für mich war Fußball als Kind meine absolute Leidenschaft – ich habe fast jeden Tag gekickt, meistens nur mit Jungs. Am Anfang musste ich lernen, dass niemand auf mich gewartet hat – aber nach dem ersten Tor habe ich mir den Respekt meiner Mitspieler verdient und wurde vermisst, wenn ich mal nicht konnte. Daraus habe ich gelernt, dass es sich lohnt, sich immer wieder freizulaufen, anzubieten und dann im entscheidenden Moment zu stürmen und ein Tor zu schießen.