
Design Thinking: eine Kultur des Austauschs auf Augenhöhe schaffen
Design Thinking wird als das neue Management-Paradigma gehandelt. Die Methoden dieser auf Kollaboration ausgerichteten Arbeitsweise reißen Schranken und Silos in Unternehmen ein. Sie verändert das Arbeiten und defi niert Teamwork neu. Einer der führenden Experten für das Thema ist Professor Ulrich Weinberg. Im Interview mit Funk Forum erklärt er, wie Design Thinking erfolgreich in Unternehmen implementiert wird.

Design Th inking ist ein neuer Begriff, über den man neuerdings viel liest und der sich langsam Bahn bricht. Wo lassen sich bereits heute die Ergebnisse von Design Thinking in Action besichtigen und erleben?
In der Tat, Design Thinking ist ein relativ neuer Begriff. Aber Produkte und Dienstleistungen sehr nah am Nutzer zu entwickeln, und dies in einem iterativen Prozess unter Einbeziehung diverser Fachdisziplinen, das ist keineswegs neu. Bereits im Bauhaus der 1920er Jahre wurden erfolgreich Brücken zwischen verschiedenen gestalterischen Disziplinen gebaut. So entstanden neue Ideen für Architektur, Mobiliar und Accessoires. Design Thinking, wie wir es heute verstehen, bewegt sich aber mittlerweile viel stärker in die gesamte Gestaltungs- und Entwicklungskultur eines Unternehmens oder einer Organisation hinein. Ein Unternehmen wie Google ist ein typisches Beispiel für „Design Thinking in Action“. Hier dominierteine vernetzte, sehr nah am Nutzer orientierte Denk- und Arbeitshaltung.
Wie können Unternehmen Design Thinking erfolgreich implementieren?
Ein erster Schritt ist in der Regel die Einführung eines „geschützten Raums des Scheiterns“, wie ich es nenne, einer Art Experimentierlabor, in dem neue Erfahrungen der Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen und neue Produkt- und Service-Ideen ausprobiert werden können. Wir sehen mittlerweile eine Reihe von Unternehmen in Deutschland, die mit dieser Art von „Design Thinking Spaces“ nicht nur ein Innovationslabor für den eigenen Bedarf entwickelt haben, sondern ein Experimentierfeld, in dem gemeinsam mit den Kunden im Co-Kreationsprozess völlig neue Wege beschritten werden können. Die positiven Erfahrungen aus diesen Prozessen spiegeln vielfach zurück in die normale Arbeitskultur und verändern komplette Büroetagen.
Passend dazu schreiben Sie in Ihrem Buch „Network Th inking“ ausführlich über die Wichtigkeit einer Fehlerkultur. Was macht eine solche Fehlerkultur aus?
Der iterative Prozess, der bei Design Thinking zum Einsatz kommt, ist ganz bewusst auf Schleifen angelegt, auf mehrfaches Wiederholen und Herantasten an die tatsächlichen Bedürfnisse einer Nutzergruppe. Der erste Prototyp für eine Lösung ist in der Regel noch nicht die fi nale Lösung, liefert aber jede Menge Erkenntnisse für eine nächste Version. Wir erlauben uns Fehler mit Low-Resolution-Prototypen, die noch sehr billig sind, um am Ende zu erfolgreichen Lösungen zu kommen.
Wie kann mittels Design Thinking die Arbeit im Team so organisiert werden, dass daraus nicht das berüchtigte „Toll-Ein-Anderer-macht‘s“ wird?
Wesentlich ist die Frage, wie die Teamarbeit am Ende bewertet wird. Steht die Einzelbewertung im Vordergrund, wird die Teamleistung torpediert – das kennt nahezu jeder von uns aus Schule und Ausbildung. Wir brauchen Lern- und Arbeitskulturen, in denen positive Teamerfahrungen die Regel sind.
Welche Methoden und Tools erleichtern die Arbeit im Team?
Wir haben in Potsdam eigene Möbel entwickelt, um die Zusammenarbeit kleiner Teams zu fördern. Stehtische in Sechseckform zum Beispiel und große weiße Tafeln, mit denen sich die Teams umgeben können, um permanent ihre Ideen für alle sichtbar zu dokumentieren. Es gibt kistenweise Prototyping-Material, wie Pappe, Papier, Lego-Bausteine und Knetgummi. Und es gibt mittlerweile ein großes Arsenal an Teamritualen, wie z. B. gemeinsame Warmups für zwischendurch, die die Aufmerksamkeit füreinander stärken.
Design Thinking bedeutet, dass disziplinübergreifend gearbeitet wird. Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit ein Mediziner, ein Philosoph, ein Psychologe und ein Informatiker erfolgreich zusammenarbeiten? Und nicht aneinander vorbeireden?
Es sollte eine Kultur des Austauschs auf Augenhöhe geschaffen werden und es empfi ehlt sich ein Arbeitsprozess, in dem nicht nur Wörter und Zahlen eine Rolle spielen, sondern sehr stark mit anfassbaren Prototypen gearbeitet wird – wir nennen das „Denken mit den Händen“. Beim gemeinsamen Erarbeiten von Prototypen schmelzen die unterschiedlichen Fachdisziplinen zu einem spannenden Ideengenerator zusammen.
Was muss sich in den Schulen ändern, damit dort bereits die Grundlagen für erfolgreiches Design Thinking gelegt werden?
In den Schulen wird zu wenig kontextorientiert gelernt und zu wenig Zusammenarbeit praktiziert. Die Konkurrenzfähigkeit des Einzelnen steht zu sehr im Vordergrund, nicht die Kollaborationsfähigkeit der Gruppe. Das müssen wir grundlegend verändern in einer immer stärker durch Vernetzung geprägten Welt.