„Den Zielhafen erreichen“

Der Wandel in Industrie und Wirtschaft ist allgegenwärtig. Mit Change Management können Unternehmen die Veränderungen steuern. Funk Forum sprach mit Business Trainer Prof. Dr. Leif Erik Wollenweber über aufgebrochene Strukturen, optimierte Prozesse und neu ausgerichtete Strategien.

Lieber Herr Wollenweber, Heraklit von Ephesus sagte einst: „Nichts ist so beständig wie der Wandel.“ Das war vor 2.500 Jahren. Seit jeher begleitet uns die Veränderung. War Change Management nicht schon immer Teil des Unternehmensprozesses? Warum hat es an Bedeutung gewonnen?

Ja, Unternehmen waren schon immer dem Wandel unterworfen, in manchen Branchen stärker als in anderen. Aber in den letzten 20 Jahren haben die Geschwindigkeit und die Dichte der Veränderungen dramatisch zugenommen.

Nehmen wir die Unternehmensumwelt: Bis Ende der 1980er war die Welt wörtlich „eingefroren“. Entsprechend langsam und gemächlich verlief alles. In den 1990ern entwickelte sich Euphorie. Die neuen Chancen überwogen die negativen Trends bei weitem. Das Zerbröckeln der alten Gewissheiten begann Ende der 1990er mit der Asienkrise, dann folgten die geplatzte Dotcom-Blase und 9/11. Nach kurzer Erholung sind wir seit 2008 permanent in einer weltweiten Finanzkrise. Die USA sind nicht mehr die hegemoniale Großmacht, was Konflikte in aller Welt auflodern lässt. China strebt den Großmachtstatus an, ohne diesen mit einem entsprechenden Führungsanspruch zu hinterlegen. Insgesamt driften durch die fehlende Klammer des alten Systemgegensatzes jahrzehntelang gefestigte politische Bündnisse auseinander. Auf den Märkten sorgen dazu die Digitalisierung, disruptive Geschäftsmodelle, die Transparenz der sozialen Medien, die insgesamt zunehmend globale Wirtschaft bei gleichzeitig wiedererstarkendem Protektionismus und eine immer wirkungsärmere Vertretung stärker zersplitterter Interessengruppen für die „VUCA-Welt“.

Veränderungen steuern mit Change Management


Was bedeutet das?

„VUCA” steht für Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity. Wir befinden uns also in einer Welt, die in noch nie da gewesenem Maße unbeständig, ungewiss, komplex und mehrdeutig ist. Als Kapitän mit seinem Schiff in eine solche Sturmlage zu geraten, ist wahrlich kein Vergnügen.

 

Wie können Unternehmen in dieser Welt bestehen?

Das hängt von der Art des Unternehmens ab. Es gibt die „Newborn“, die „Reborn“ und die „Lost“. Zu den „Newborn“ zählen die Amazons, Apples, Facebooks, Googles und Ubers dieser Welt. Sie haben es leicht, denn sie treiben die Märkte. Die „Lost“ sind diejenigen, die glauben, ihr Geschäftsmodell werde schon bestehen bleiben, oder diejenigen, die schon verloren haben. Und dann sind da die Unternehmen, die sich neu erfinden. Von ihrem Erfolg hängt Deutschlands Wohl oder Wehe ab.Die Unternehmen der alten Schule können in beeindruckender Stabilität und – wenn sie es wollen – Qualität Ergebnisse produzieren. Aber sich schnell und umfassend wandeln können sie nicht. Ihre Organisationsstrukturen und Entscheidungswege sind zu bürokratisch und zu langsam, ihre Kulturen zu chancenfeindlich und ihre Steuerung ist zu sehr auf – kurzfristigen – Profit anstatt auf Kundenbegeisterung und Wachstum ausgelegt. Diesen Unternehmen muss nichts weniger gelingen, als sich an Haupt und Gliedern neu zu erfinden. Das ist möglich, aber ungemein schwer.

 

Die meisten Unternehmen der alten Schule weisen aber gute Ergebnisse vor und die deutsche Wirtschaft boomt. Warum müssen sich Unternehmen überhaupt neu erfinden, wenn sie doch bereits erfolgreich sind?

Hochmut kommt vor dem Fall. Allerdings unterstelle ich keinem Unternehmenslenker Überheblichkeit. Ich beobachte das Gegenteil. Die meisten wissen, der Boom basiert auf massivem Doping. Vor allem die Europäische Zentralbank sorgt für die historisch einmalige und so gefährliche Sondersituation: Für die deutsche Wirtschaftsstärke ist der Wechselkurs des Euro viel zu niedrig. Allein dadurch sind deutsche Produkte auf dem Weltmarkt bis 30 Prozent günstiger. Und die Nullzinspolitik führt dazu, dass unzählige unsinnige Investitionen getätigt werden, miserabel geführte Unternehmenszombies die Märkte verzerren und erfolgreiche Betriebe ihr Geld in Aktienrückkäufe stecken, da ihnen sinnvolle Alternativen fehlen.

Der Hauptpunkt aber ist: Wer stehen bleibt, fällt zurück. Angesichts des aktuellen Tempos eventuell uneinholbar. Mir ist unbegreiflich, warum gerade so viele deutsche Unternehmen abwarten. Dabei gilt ein Motto derzeit wie kein zweites: Angriff ist die beste Verteidigung! Das Silicon Valley und China machen es vor, aber wir sind in dieser Hinsicht schwerfällig.

 

Veränderungen sind unangenehm – auf welche Widerstände müssen sich Unternehmen einstellen und wie können sie ihre Mitarbeiter im Change-Management-Prozess mitnehmen?

David Rock und Jeffrey Schwartz haben den Begriff des Neuroleadership und den Satz „Change is pain“ geprägt. Praktisch jede Veränderung geht mit einem Verlust einher, ich tausche das Alte gegen das Neue. Und Verlust bedeutet Schmerz. Schmerz bedeutet starke Emotion. Wer als Führungskraft da versucht, rein rational zu argumentieren, hat schon verloren. Wem es aber gelingt, Lust auf das Neue, das Interessantere und Bessere zu machen, der hat Erfolg. 

Was sind klassische Veränderungsprojekte in Unternehmen?

Die meisten Veränderungen werden seit einiger Zeit von den Leistungsprozessen und damit nahezu unvermeidlich von der IT angestoßen. In einem solchen typischen Projekt gibt es dann die Anforderung, in, sagen wir, drei Jahren alle Kundeninteraktionen digital abzubilden und zu steuern. Dadurch gibt es ein klares, wichtiges Ziel und einen erkennbaren Zeitrahmen, das kann man mit traditionellem Change Management gut steuern. Allerdings wird die Softwareentwicklung heute dann doch agil sein müssen.

 

Was sind die Grundvoraussetzungen für ein erfolgreiches Veränderungsprojekt?

Das Ziel muss für die Führungsmannschaft des Change-Projekts attraktiv und deutlich sein. Alle, die für das Gelingen eines Projekts wichtig sind, müssen an Bord – Führungskräfte wie Spezialkräfte. Noch wichtiger als Fachkompetenz ist aber Sozialkompetenz. Ein Projekt mit Feuer unter dem Dach wird ein Fiasko. Deshalb müssen Mitarbeiter, die nicht in das Projektteam passen, von Bord. Ist dies alles gegeben, ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Zielhafen erreicht wird, ziemlich hoch.

 

Welche Fallstricke können in einem solchen Prozess drohen?

Hier gilt der Umkehrschluss: Unklare und widerstrebende Ziele, zu unterschiedliche Interessen der Stakeholder, Projektbeteiligte, die nicht miteinander harmonieren und ihren Eigennutz über alles stellen, wären die häufigsten internen Gründe für ein Scheitern. Extern kann es passieren, dass man einfach Pech hat. Aber auch das lässt sich minimieren, indem man strategisch darauf achtet, nichts anzustreben, was selbst im Erfolgsfall keiner braucht – einen Transrapid etwa.

 

Der Philosoph und Ökonom Peter F. Drucker sagte „Culture eats strategy for breakfast“ – was sollten sich Unternehmen aus dieser Aussage für ihr Change Management ableiten?

Aufgrund der „VUCA-Welt“ macht in vielen Branchen klassische Strategieplanung über Mehrjahreszeiträume kaum mehr Sinn. Eine Zielstellung und die Bündelung der Ressourcen brauchen Unternehmen aber mehr denn je. Deshalb ist eine starke, wirklich tief verankerte Vision so wichtig. Sie prägt die Unternehmenskultur und die strategische Ausrichtung gleichermaßen. Während das klassische Change Management aber noch von einzelnen, abgeschlossenen Projekten ausging, müssen Unternehmen jetzt permanenten Wandel meistern. Deshalb schlägt eine Unternehmenskultur, die eine solche Agilität ermöglicht, jede noch so gute Strategie, wenn die entsprechende Organisation fehlt.

 

Ist das Change Management im Unternehmen jemals abgeschlossen?

Nein, ich sehe Change Management auch nicht als eigenständige Disziplin, sondern einen Dreiklang von Strategie, Organisation und Führung. 

Sozialwissenschaftler und Betriebswirt, ist Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Organisation und Führung, an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management. Außerdem lehrt er Entrepreneurship, Management und Leadership an Universitäten in den Niederlanden und in Großbritannien.

Als Managing Partner einer mittelständischen Unternehmensberatung ist er spezialisiert auf Beratung und Training zu den Themen Strategie, Change Management und Führung.

Einem größeren Publikum vermittelt er die neuesten Erkenntnisse auf dem Gebiet der Management- und Leadershipforschung als Autor und Keynote Speaker. Zu seinen Kunden zählen namhafte internationale Konzerne, Dax-Unternehmen und mittelständische Hidden Champions.

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