Wie Künstliche Intelligenz das Brandrisiko der Papierindustrie reduziert
Das Brandrisiko ist in der Papierindustrie sehr hoch, schließlich sind die Materialien dort leicht entflammbar und stehen in unmittelbarem Kontakt zu elektrischen Anlagen. Eine innovative Fehler- und Differenzstrom-Überwachung ermöglicht die frühzeitige Identifikation von potenziellen elektrischen Zündquellen.
Herausforderung: entflammbares Material, große Risikoherde
Die Industrie zur Herstellung und Verarbeitung von Papier sieht sich seit jeher großen Brandrisiken ausgesetzt. Eine häufige Ursache sind Fehlfunktionen der elektrischen Anlagen, die Papier bearbeiten. Gleichzeitig bestehen hohe Konzentrationen von Brandlasten, beispielsweise bei der Lagerung von Altpapier oder produzierten Papierrollen. Insbesondere Isolationsfehler zwischen dem Ausgang von Frequenzumrichtern und beispielsweise dem Motor eines Laufkrans stellen signifikante Risikoherde dar. In der Vergangenheit haben Brände in der Papierwirtschaft hohe Versicherungsschäden verursacht. Das wiederum führte zu steigenden Prämien und Selbstbehalten, insbesondere für schadenbelastete Verträge. Zusätzlich fordern Versicherer mitunter verbindliche Pläne zur Verringerung der Schadenrisiken ein, wenn die Deckung fortgesetzt werden soll.
„Geeignete Brandkonzepte, etwa in Hochregallagern mit hohem Großbrandpotenzial, gestalten sich sehr anspruchsvoll und kostenintensiv“, sagt Manuel Zimmermann, Manager Beyond Insurance bei Funk. „Kostentreiber sind dabei die hohen Betriebs- und Wartungskosten, Störungen der operativen Abläufe durch die Schutzeinrichtungen und unerklärliche Funktionsstörungen. Selbst wenn es also nicht zu einem Brand kommt, führen Störungen elektrischer Anlagen oder Schutzeinrichtungen häufig zu Betriebsunterbrechungen.“
„Selbst wenn es nicht zu einem Brand kommt, führen Störungen elektrischer Anlagen oder Schutzeinrichtungen häufig zu Betriebunterbrechungen.“
Lösung: Störungen erkennen, bevor sie entstehen
Gemeinsam mit dem Kooperationspartner twingz bietet Funk einem Kunden aus der Papierwirtschaft eine Softwarelösung an. Diese überwacht permanent bestimmte Flussgrößen, in diesem Fall elektrischen Strom, und wertet die Ergebnisse intelligent aus. Die Daten werden über eine spezielle Sensor-Infrastruktur in einem Echtzeit-Monitoring erfasst: RCM-Sensoren (Residual Current Monitor, Differenzstrom) messen Ableit- und Fehlerströme, während PQM-Systeme (Power Quality Management, Energiemanagementsystem) Wirkenergie, Spannung, Frequenz und Jitter überwachen. Durch die Predictive-Deep-Learning-Analysesoftware auf Basis Künstlicher Intelligenz werden die Daten zu elektrischen Strömen kontinuierlich ausgewertet.
Künstliche Intelligenz/Artificial Intelligence (KI/AI)
KI ist ein Überbegriff für softwarebasierte Anwendungen, die Intelligenzleistungen des menschlichen Gehirns replizieren – Lernen, Urteilen und das Lösen von Problemen. Sie basieren dabei im Wesentlichen auf Algorithmen zur Berechnung von Wahrscheinlichkeiten und dem Erkennen von Mustern in umfangreichen Datensets. Das wichtigste Merkmal von KI-Methoden ist die Lernfähigkeit, durch die sie nicht bloß auf Basis vorgegebener, auswendig gelernter Beispiele entscheiden, sondern in der Praxis gewonnenes Wissen verallgemeinern und neu anwenden können. Dadurch liefern KI-Anwendungen mit der Zeit immer bessere Ergebnisse zu der ihnen zugewiesenen Aufgabenstellung.
Gesucht werden dabei Auffälligkeiten und Muster, die auf nahende Störungen oder das Risiko eines Kurzschlusses hinweisen. So wird das Personal des Unternehmens frühzeitig und automatisch informiert, wenn Auffälligkeiten vorliegen.
Nutzen: Eine schwierige Branche wird wieder versicherbar
Das System, das im Rahmen von Funk Beyond Insurance eingesetzt wurde, trägt im beschriebenen Fall zu einem innovativen, proaktiven Brandschutz bei. Dadurch kann das branchentypisch besonders kritische Brandrisiko reduziert werden.
„Das Personal kann Maßnahmen ergreifen, bevor ein kostenintensiver Großschaden entsteht“, sagt Dr. Alexander Skorna, Leiter Business Development bei Funk. „Dadurch bietet sich zukünftig die Chance, in Zusammenarbeit mit Zertifizierungsstellen und Versicherern eine Versicherbarkeit betroffener Infrastrukturen zu erhalten.“ Darüber hinaus bildet das Projekt den Ausgangspunkt zur Schaffung einer technischen Infrastruktur, auf deren Basis zukünftig parametrische Versicherungsprodukte realisiert werden können.
Parametrische Versicherung
Im Rahmen von parametrischen Versicherungen reguliert der Versicherer Schäden nicht anhand von nachträglichen Schadenhöhen, sondern auf Basis einer vordefinierten Messgröße. Wird ein vertraglich festgelegter Wertebereich durch ein Ereignis verlassen, erfolgt in Reaktion auf diesen sogenannten Trigger automatisch eine zugeordnete Schadenzahlung. Eine mögliche Abweichung der Schadenzahlung von der tatsächlich aufgetretenen Schadenhöhe verbleibt als sogenanntes Basisrisiko. Durch den zunehmenden Einsatz moderner Sensorik und hochentwickelter Analysesoftware lassen sich einerseits die für Schäden relevanten Datenströme immer besser erfassen, andererseits verlässlichere Modelle für den Zusammenhang von Trigger-Ereignissen und Schadenhöhen entwickeln.
Auch die Arbeitssicherheit erhöht sich. Zudem kann durch die frühzeitige Vorhersage möglicher Störungen und Defekte der Wartungsprozess verbessert werden. Dadurch sinken nicht nur das Risiko und die Intensität von nicht geplanten Stillständen, sondern es können auch Anzahl und Dauer von geplanten Stillstandszeiten (z. B. Wartungen und Überprüfungen) optimiert werden. In Summe werden also kostenintensive Betriebsunterbrechungen reduziert. Gleichzeitig steigt die Verfügbarkeit von Produktionskapazitäten. Dabei ist entscheidend, dass Wartungsintervalle bedarfsgerecht und damit kostenoptimal gesteuert werden können.
Predictive Maintenance
Predictive Maintenance bzw. vorausschauende Wartung/Instandhaltung beschreibt das folgende Konzept: Ungeplante Maschinenstillstände, etwa durch Verschleiß oder Störungen, werden in geplante und bedarfsgerechte Instandhaltungsmaßnahmen überführt. Geeignete Sensorik erfasst dabei Parameter, die bei Abweichungen Rückschlüsse auf Verschleißerscheinungen oder beginnende Störungen zulassen – zum Beispiel die Temperatur eines Werkzeugs, Vibrationen einer Baugruppe oder die Anlaufzeit eines Motors. Charakteristische Muster in diesen Daten lassen sich durch geeignete Modelle mit konkret zu erwartenden Schäden verknüpfen.
RCM-Sensoren (auf dem Bild in Grau) messen Ableit- und Fehlerströme direkt an den Kabelleitungen. © twingz
Die Lösung kann in vielen Bereichen eingesetzt werden. Aus den Stromdaten kann der jeweilige Verbrauch genau abgelesen werden; zudem kann die Softwarelösung in bestehende Business-Intelligence-Systeme integriert werden. Dadurch ergeben sich zusätzliche Mehrwerte, beispielsweise im Bereich des nachhaltigen Energiemanagements.
Die Schaltschränke sind einer der Orte, an denen die intelligente Softwarelösung Daten überwacht und auswertet. © twingz
Projektverlauf: Schritt für Schritt ans Ziel
Das Projekt wurde in Phasen unterteilt. So kann der Ansatz frühzeitig bewertet und das Vorhaben bei einem negativen Ausblick abgebrochen werden, was das Risiko reduziert. In jeder Phase wurde eine Einschätzung zur Durchführbarkeit der nächsten Phase vorgenommen und an den Kunden kommuniziert.
1. Genaue Definition des Projektumfangs
2. Definition des Schutzziels
3. Festlegung der zu überwachenden Bereiche und Anlagen
4. Darstellung des Nutzens des Systems und Angebotserstellung
5. Installation und Inbetriebnahme der erforderlichen Sensorik sowie Einbindung der Komponenten in die Analysesoftware
6. Start der Anlernphase (je nach Umfang 2–6 Monate), regelmäßige Anpassung der Kennwerte
7. Vollbetrieb nach Anlernphase
Geeignet für: Lager, Rechenzentren und Produktionsbereiche
Mit der Softwarelösung, die Funk gemeinsam mit twingz anbietet, können Flussgrößen analysiert werden: primär Strom-, aber auch Wasserflüsse. Das Herzstück des Systems bilden die KI-basierten Predictive-Analytics-Cloud-Services in Kombination mit einer eigenen Sensor-Infrastruktur.
Cloud Computing
Cloud Computing beschreibt den Ansatz, IT-Infrastruktur (z. B. Server, Datenbanken, Netzwerkkomponenten oder Software) über das Internet zur Verfügung zu stellen, sodass diese auf dem lokalen Rechner des Nutzers kaum Ressourcen in Form von Speicherplatz oder Rechenleistung in Anspruch nehmen. Derartige Dienste lassen sich zumeist dynamisch und bedarfsgerecht „über die Cloud“ abrufen sowie ggf. nutzungsbasiert abrechnen („pay-per-use“). Der Rückgriff auf Cloud Computing entspricht also einem klassischen Outsourcing mit Blick auf die Bereitstellung, Installation und Betreuung eigener IT-Infrastrukturen.
Durch diese erhalten Unternehmen prozessierte Daten über Energie- oder Wasserverbrauch sowie Risiko-Verhaltensmuster und schadhafte Endgeräte. So identifiziert die Software zum Beispiel in der Wohnungswirtschaft frühzeitig Lecks in Wasserleitungen. Auf diese Weise können hohe Folgeschäden vermieden werden. Ebenso lassen sich – wie im genannten Beispiel – in der Produktions- und Logistikwirtschaft potenzielle Kurzschlüsse und fehlerhafte elektrische Anlagen frühzeitig identifizieren. Dies ermöglicht einen proaktiven Brandschutz und eine Erhöhung der Verfügbarkeit von Produktionskapazitäten. Die Anwendungsfelder reichen dabei von Hochregallagern und Rechenzentren über Tierstallungen bis zur Wärme- und Kälteerzeugung in der Lebensmittelindustrie.
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