Digitales Detox

Online ist das Leben ungemein praktisch – theoretisch. In der Praxis vertrödeln wir mit Smartphone in der Hand häufig Zeit und sind nur scheinbar effizienter. Forum-Kolumnist Roland Tichy geht der Frage nach, ob wir nicht häufiger mal abschalten sollten.

Es war ein Hamburger Taxi-Fahrer, der mir die Symptome erklärt hat: Ruckweises Fahren, spätes Anfahren an der Ampel, hektisches Bremsen ohne erkennbare Ursache. „Der Fahrer vor Ihnen checkt seine E-Mails oder verfolgt einen der vielen Messenger-Dienste. Oder beides gleichzeitig.“ Wenn schon Telefonieren während der Fahrt verboten ist, weil Ohr und Hirn abgelenkt sind – um wie viel schlimmer ist es dann wohl, wenn der personifi zierte Drei-Affen-Mensch (nichts sehen vom Verkehr, nichts hören, nichts denken) im tonnenschweren SUV mit ein paar hundert PS auf den Überweg vor einem Kindergarten zurollt?

Es wird Zeit, dass wir mal abschalten. Nicht nur im Auto. Viele Frauen haben ja durchgesetzt, dass die Herren Karrieregemahle am Abend das Smartphone ausschalten – für den Familienfrieden. Früher wurde auf dem Örtchen geraucht. Jetzt ist es das Rückzugsgelände des Smarters. Das Netz beginnt unser Leben überall zu beherrschen: Im Urlaub werden Lokale nicht nach der Qualität der Pizza, sondern der WLAN-Verbindung ausgesucht.

Ob das der Lebensqualität dienlich ist? Wohl kaum. Aber werden wir wenigstens effi zienter? Ein Blick in die Statistik ist überraschend: Weltweit stagnieren die wirtschaftlichen Wachstumsraten, während die Zahl der Smartphones und verschickten (und empfangenen) Datenvolumina überproportional zunimmt. Klar, ohne Netz wäre eine moderne Wirtschaft nicht denkbar. Aber der Effekt wird überschätzt, weil an der Mensch-Maschine-Schnittstelle der Mensch abgelenkt ist. Oder jedenfalls auf etwas anderes konzentriert ist. Betreiber von Online-Newsportalen wissen: Der Traffi c fährt ab 9 Uhr hoch, wenn in denBüros und Ämtern die PCs warm laufen. Mittags gibt es eine Delle; ab 16 Uhr wird's schwächer: Dann lesen die Angestellten nicht mehr im Netz, sondern bringen zu Ende, was der Arbeitgeber so verlangt. Ab 17 Uhr ist Sense. Längst sind Bürozeiten Online-Zeiten. Besonders fortschrittliche Unternehmen haben Paket-Shops eingerichtet, damit ihre Mitarbeiter den Schrei vor Glück im Büro ausstoßen und sich nicht zu früh auf den hektischen Weg zum Paketpostamt machen. Aber schon mal überlegt, wo der Bestell- und vorher der lange Suchvorgang stattgefunden haben?

Es gehört dazu, dass wir uns alle zu Opfern machen. Arbeitgeber verlangen die ständige Erreichbarkeit. Als Folge dessen gibt es bald sicher „Digital-Detox-Kuren“. Bits und Bytes sind, was früher die Staublunge war: Gesundheitsrisiko. Dabei ist es doch so einfach: Schalten Sie mal ab. Und seien Sie stolz darauf: Das Einfachste war schon immer das Schwierigste.

 

Roland Tichy (60) gehört zu Deutschlands prominentesten Journalisten und besten Kennern der hiesigen Wirtschaft. Er war langjähriger Chefredakteur der Magazine „Impulse“, „Euro“ und „Wirtschaftswoche“. Heute ist er als freier Journalist tätig – und als Kolumnist fürs Funk Forum. Tichy ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung und betreibt sein Online-Magazin „Tichys Einblick“.