Energiemangel: Versicherungen und Vorkehrungen für die Industrie

Zur Sicherung der Gasversorgung hat Deutschland Zulieferungen aus Ländern wie den Niederlanden und Norwegen erheblich verstärkt sowie Importe von Flüssiggas aus dem Nahen Osten organisiert. Ob dies reichen wird, um den Verlust der russischen Gas-Importe auszugleichen, ist jedoch vor dem Hintergrund des tatsächlichen Bedarfs in Abhängigkeit einer Vielzahl an Faktoren ungewiss. Wir geben einen Überblick über Versicherbarkeit und Krisenmanagement.

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs stellt sich die Frage nach der Versorgungssicherheit. Die Abhängigkeit vom russischen Erdgas ist trotz aller Bemühungen der Politik eine große Herausforderung. Dies betrifft jedoch nicht nur die Wärmeversorgung, denn Gas wird im großen Umfang auch für die Erzeugung von Strom verwendet. Aufgrund der vorübergehenden Stilllegung eines großen Teils der französischen Atomkraftwerke zu Wartungszwecken sowie Problemen bei der Reaktivierung deutscher Kohlekraftwerke wegen Personalmangels und fehlender Kohlevorräte verschärft sich die ohnehin schon angespannte Situation im europäischen Stromnetz. Das Risiko lokaler oder auch weitreichenderer Stromausfälle (Blackouts) wird daher relevanter – auch über das Jahr 2023 hinweg.

Ein Blackout ist ein unkontrolliertes und unvorhergesehenes Versagen von Netzelementen. Das führt dazu, dass größere Teile des europäischen Verbundnetzes oder das gesamte Netz ausfallen (sogenannter Blackout). Ein solches Ereignis könnte beispielsweise auftreten, wenn in einer angespannten Last- und Erzeugungssituation zusätzlich schwere Fehler an neuralgischen Stellen des Übertragungsnetzes auftreten. Ein Blackout ist also grundsätzlich kein durch eine Unterversorgung mit Energie ausgelöstes Ereignis, sondern bedingt durch Störungen im Netzbetrieb.

Ein großflächiger Blackout ist gemäß der Bundesnetzagentur äußerst unwahrscheinlich. Das elektrische Energieversorgungssystem ist mehrfach redundant ausgelegt und verfügt über zahlreiche Sicherungsmechanismen, die selbst bei größeren Störungsereignissen einen völligen Zusammenbruch des Übertragungsnetzes verhindern sollen.

Demgegenüber steht der sogenannte (kontrollierte) Brownout. Dieser kann notwendig werden, wenn im Vergleich zur nachgefragten Menge zu wenig Strom produziert werden kann. In diesem Fall ist es notwendig, die Nachfrage durch kontrollierte Abschaltungen so weit zu reduzieren, dass das Angebot die Nachfrage wieder vollständig decken kann.

Die Bundesnetzagentur hält die Wahrscheinlichkeit für gering, dass erzwungene, großflächigere Lastreduktionen im kommenden Winter erforderlich werden. Die Wahrscheinlichkeit wird umso geringer, je mehr in einer angespannten Netzsituation alle Verbraucher zur Reduzierung der Nachfrage beitragen.

Die Explosionen an den Pipelines Nordstream 1 und 2 sowie Drohnen-Sichtungen an kritischen Stellen der Energie-Infrastruktur, insbesondere in skandinavischen Ländern, führen darüber hinaus zu weiteren Ängsten hinsichtlich der Versorgungssicherheit. Das Risiko von Sabotage steigt und ist in allen Bereichen der Energie-Infrastruktur denkbar, sei es durch physische Eingriffe oder Cyberattacken.

Ein Lieferstopp oder abrupte Versorgungsausfälle bei der Strom- und Gasversorgung würden in den Industriezweigen mit hohem Energieverbrauch den größten Schaden anrichten, also in der Metall-, Chemie- und Papierindustrie. Es wären jedoch auch weitere Branchen betroffen, sei es direkt oder indirekt, weil dort Vorprodukte fehlen würden. Die Konsequenzen einer Energiemangellage wären in der vernetzten deutschen Industrieproduktion je nach Szenario verheerend.

Was in der Notfallstufe passiert

In Deutschland regelt der „Notfallplan Gas“ der Bundesregierung die Versorgung in einer Krisensituation. Dieser dreistufige Notfallplan definiert konkrete Maßnahmen zur Sicherung der Gasversorgung. Zudem regelt der Plan über die Bundesnetzagentur die Zuteilung der Gasmengen: Ihr obliegt in Abstimmung mit den Netzbetreibern die Funktion des Bundeslastverteilers. Derzeit gilt in Deutschland die Alarmstufe, also Stufe 2 von 3. Erst in Stufe 3, der sogenannten Notfallstufe, greift der Staat hoheitlich ein. „Im Falle einer Rationierung werden Industriebetriebe und Gas-Großverbraucher per Verordnung abgeschaltet, also nicht mehr mit Gas beliefert“, sagt Dr. Alexander Skorna, Geschäftsführer der Funk Consulting. „Gaskunden wie Krankenhäuser oder Privathaushalte haben dann Priorität und werden weiter versorgt.“ Auch Unternehmen, die zwar Gas verbrauchen, dadurch aber Abwärme produzieren, werden vermutlich weiter mit Gas beliefert, denn die Abwärme kann als Fernwärme in die Versorgung von Haushalten gespeist werden. 

Notfallplan Gas der Bundesregierung

Bei Ausrufung der ersten Stufe im März 2022 wurde ein Krisenstab eingerichtet, der täglich die Versorgungslage beobachtet. In dem Krisenstab sitzen Mitarbeiter*innen des Wirtschaftsministeriums und Vertreter*innen aus der Industrie. Parallel müssen Gasversorger Notfallpläne vorbereiten, die auch Maßnahmen zur Einsparung von Gas beinhalten. Die Frühwarnstufe signalisiert der Industrie, den Gasverbrauch möglichst zu reduzieren. Gleichzeitig füllt der Bund nach Möglichkeit die Gasspeicher auf.

Diese Stufe ist erreicht, wenn eine Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Gas-Nachfrage vorliegt. Am 23. Juni 2022 hat die Bundesnetzagentur gemeinsam mit Wirtschaftsminister Robert Habeck die Alarmstufe ausgerufen. Auch hier regeln weiterhin Marktmechanismen die Nachfrage, die aktuellen Preiserhöhungen sind zugleich Motivation und Beleg der Ernsthaftigkeit, Gas einzusparen. Zudem werden in dieser Stufe Gesetze vorbereitet oder erlassen – so, wie aktuell die sogenannte Gasumlage zur Solidarisierung von Mehrkosten beim Gaseinkauf.

In dieser Situation greift der Staat hoheitlich in die Gasversorgung ein. Entscheidungsinstanz ist die Bundesnetzagentur. Insbesondere die Gasversorgung der geschützten Kunden – wie Krankenhäuser und private Haushalte – soll dadurch sichergestellt werden. Mögliche Maßnahmen sind: Abschaltung von Industriekunden, behördliche Anordnungen, den Gasverbrauch zu reduzieren, oder eine Anordnung zur Nutzung von Strom, der nicht durch Gas erzeugt wird. Gas-Großverbrauchern bleiben nach Ausrufen der Notfallstufe teils nur wenige Stunden, um den Betrieb stillzulegen. Eine Folge wäre verbreitete Kurzarbeit, ähnlich wie bei den zurückliegenden Corona-Lockdowns.

Neben Deutschland sind auch angrenzende Länder und ihre Industriebetriebe betroffen, da insbesondere die Schweiz und Tschechien signifikant von Deutschland aus mit Gas beliefert werden. Weitere Verbundnetze bestehen mit Österreich, den Niederlanden, Frankreich und Polen. Die Gasverteilung ist somit mittlerweile ein europaweites Thema und bedarf entsprechender länderübergreifender Abstimmungen.

Die aktuelle Herausforderung trifft Deutschland aber nicht völlig unvorbereitet. Fabian Konopka, Senior Consultant Funk Consulting: „2018 wurde eine regionale Gasmangellage simuliert. Die länder- und ressortübergreifende Krisenmanagementübung – kurz LÜKEX – hat gezeigt, dass Deutschland auf eine Gasmangelsituation gut vorbereitet ist. Der Notfallplan Gas und die Zusammenarbeit im nationalen Krisenteam Gas haben sich in der Übung bewährt.“

Bei der Stromversorgung gibt es keine Priorisierungen

Sollte es zu einem überregionalen Versorgungsengpass kommen, führen die Netzbetreiber die notwendigen Abschaltungen von Lasten durch. Das bedeutet, dass einzelne Regionen für eine begrenzte Zeit „reihum“ abgeschaltet werden. Entscheidend ist hierbei die wirksame Reduktion des Stromverbrauchs innerhalb der begrenzten Reaktionszeit, die den Netzbetreibern in einem solchen Falle zur Verfügung steht. Eine gezielte Weiterversorgung einzelner Kunden (bspw. Krankenhäuser) innerhalb dieser Regionen ist aus technischen Gründen schwierig. In den lokalen Netzen sind entsprechende Maßnahmen bisher nur in Ausnahmefällen vorbereitet. Kurzfristig kann der Weiterbetrieb kritischer Infrastruktur jedoch über Notstromaggregate gewährleistet werden.

„Bei klassischen Deckungskonzepten wie der Feuer-Betriebsunterbrechungs-Versicherung und auch der Maschinen-Betriebsunterbrechungs-Versicherung ist grundsätzlich das Vorliegen eines Sachschadens Regulierungsvoraussetzung.“

Dr. Alexander Skorna

Betriebsunterbrechungs-Versicherung: In der Regel nicht gedeckt

Bei einem potenziellen Gas-Lieferstopp oder Stromausfall rückt die Betriebsunterbrechungs-Versicherung in den Fokus, ähnlich wie zuletzt bei den durch Corona-Lockdowns ausgelöste Betriebsschließungen. Dr. Skorna stellt klar: „Bei klassischen Deckungskonzepten wie der Feuer-Betriebsunterbrechungs-Versicherung und auch der Maschinen-Betriebsunterbrechungs-Versicherung ist grundsätzlich das Vorliegen eines Sachschadens Regulierungsvoraussetzung“. Ein Versorgungsengpass oder ein Lieferstopp von Energieträgern, der nicht zu einem Sachschaden führt, ist damit in der Betriebsunterbrechungs-Versicherung nicht gedeckt. Dies gilt auch für eine Deckungserweiterung in der Technischen Versicherung, nämlich für den Ausfall der öffentlichen Versorgung mit Gas, Strom, Wärme oder Wasser. Auch hier muss zur Schadenregulierung ein Sachschaden an den Einrichtungen der öffentlichen Versorgungsinfrastruktur vorliegen. Wenn also Schäden dadurch entstehen, dass Gas auf Anordnung der Bundesnetzagentur nicht geliefert wird, greift die Versicherung nicht.

NDBI-Deckung: Wenig Angebot am Markt

Vereinzelt gibt es innovative Deckungskonzepte, die in der Betriebsunterbrechungs-Versicherung keinen Sachschaden voraussetzen. Man spricht hier von Supply-Chain- oder NDBI-Deckungen („non-damage business interruption“). Seit der Corona-Pandemie mit ihren behördlich veranlassten Betriebsschließungen ist die Bereitschaft der Versicherer, solche Deckungen anzubieten,  jedoch sehr begrenzt. „Auch vor Corona besaßen nur sehr wenige Unternehmen solche Deckungen, da das Prämienniveau bei diesen Lösungen sehr hoch ist und daher auch von Unternehmen vielfach nicht abgeschlossen worden sind“, sagt Dr. Skorna.

Politische-Gefahren-Deckung: Im Einzelfall zu prüfen

Erfolgt der Gas-Lieferstopp aus politischen Gründen, zum Beispiel auf Basis eines Embargos, so könnten im Einzelfall und bei Vorliegen spezifischer Bedingungen Zusatzklauseln oder die Mitversicherung von politischen Gefahren Deckung gewähren. Demgegenüber stehen Ausschlüsse wie die Kriegsklausel oder die planmäßige Abschaltung von Einrichtungen der öffentlichen Versorgung, etwa zur Sicherung der Netzstabilität. Das Auslösen der Notfallstufe wäre solch eine von langer Hand geplante Abschaltung. Grundsätzlich decken Versicherer unvorhersehbare und außerplanmäßige Sachschäden und Folgen wie eine Betriebsunterbrechung. Die aufgrund eines möglichen Gas-Lieferstopps deutschlandweit großflächig auftretenden Schäden stellen jedoch ein versicherungstechnisch problembehaftetes Kumul-Ereignis dar, welches nicht über die Versicherungsprämien ausgeglichen werden kann. Die private Versicherungswirtschaft kommt bei der Absicherung solch systemischer Risiken wie bei der weltweiten Pandemie klar an ihre Grenzen.

Sachschäden: Bei richtiger Dokumentation ist Regulierung möglich

Indirekte Schäden aufgrund der Unterbrechung der Gas- oder Stromversorgung, wie zum Beispiel Schäden durch geplatzte Wasser- oder Sprinklerleitungen oder technisch bedingte Schäden an Maschinen und Anlagen infolge der Betriebsschließungen, könnten versichert sein. Dies betrifft auch die Gebäude-Versicherung, sollten Immobilien, von Gewerbe bis (Ferien-)Wohnimmobilien, nicht mehr ausreichend beheizt werden (vgl. auch Interview zur Immobilienwirtschaft). Wichtig ist in diesem Fall, dass Unternehmen die entsprechenden Merkblätter, Checklisten und Richtlinien im Kontext einer Betriebsstillegung beachten und ihre Aktivitäten dokumentieren. Frostschäden, insbesondere an Sprinkleranlagen, können zum Beispiel durch Entwässerung oder Zugabe von Frostschutzmitteln vermieden werden (siehe Kasten mit Links unten). Dr. Skorna: „Letztlich stellt die Gemengelage eine Gefahrerhöhung nach vielen Bedingungswerken der Sach-Versicherer dar, die diesen von den Versicherungsnehmern anzuzeigen ist.“

Kredit-Versicherung: Vorauszahlungen absichern

Unternehmen können Teile eines finanziellen Risikos aus Energielieferverträgen sowie entsprechende Vorauszahlungen im Rahmen der bestehenden Kreditlimite absichern. Dazu sind eventuell Deckungsergänzungen in der Kredit-Versicherung notwendig. Wir empfehlen daher die Prüfung der Kredit-Versicherungsverträge. Deckungsvoraussetzung ist eine entsprechende Bonität. Die Deckung greift zum Beispiel, wenn der Energieversorger in die Insolvenz geht. Um finanzielle Belastungen für Bürger*innen und Unternehmen zu begrenzen, wurden seitens der Bundesregierung unterschiedliche Maßnahmen wie Preisbremsen für Strom und Gas beschlossen. Die jeweils gültigen Regelungen sind von der Verbrauchsmenge der Unternehmen abhängig (siehe Informationen der Bundesregierung).

Neben einem Blick in die aktuellen Versicherungsverträge empfiehlt sich außerdem eine Prüfung des aktuellen Risikomanagements. „Die Folgen eines möglichen Gasausfalls sind massiv“, sagt Fabian Konopka. Die Bundesnetzagentur hat Anfang August entsprechende Gas-Szenarien veröffentlicht, die bis Juni 2023 reichen. Aktuell kann eine Gasmangellage im kommenden Winter nicht ausgeschlossen werden. Unternehmen sollten eine Diversifizierung des Energieportfolios prüfen, also die Nutzung von anderen Energieträgern als Gas in Betracht ziehen. Sofern möglich, ist es außerdem sinnvoll, den Gasverbrauch bereits jetzt zu reduzieren. „Der überwiegende Teil der Standorte wird jedoch nicht kurzfristig auf andere Energieträger umsteigen können oder den Gasverbrauch deutlich drosseln“, sagt Konopka.

Unternehmen sollten außerdem jetzt schon Vorbereitungen treffen, welche Anlagen und Werksteile abgeschaltet werden können, bevor im schlimmsten Szenario der ganze Standort geschlossen werden muss. Konopka: „Größere Unternehmen sollten zudem prüfen, ob Teile des Produktionsportfolios auf andere Standorte außerhalb Deutschlands verlagert werden können.“

Länder wie Spanien, Portugal, Großbritannien, Irland oder die Benelux-Länder seien von einer durch Ausbleiben der russischen Gasmengen ausgelösten Mangellage deutlich weniger betroffen als Deutschland. Konopka: „Auch Übersee-Standorte in Nord- und Mittelamerika sowie Asien spüren von unseren Gas-Problemen derzeit wenig, auch wenn die Kosten für Energie dort ebenfalls zum Teil stark steigen.“

Wir analysieren Ihr Betriebsunterbrechungsrisiko

Funk ermittelt, wie stark Ihr Unternehmen im Falle eines Versorgungsausfalls betroffen ist, im Hinblick auf substanzielle Sach- und wirtschaftliche Schäden. Dabei beziehen wir den Ausfall von kritischen Zulieferern und Abnehmern in die Analyse ein. Ist ein Betrieb mit reduzierten Gasmengen oder Ersatzbrennstoffen möglich, zeigen wir ebenfalls Restriktionen und wirtschaftliche Konsequenzen auf.

Mehr Informationen

Funk unterstützt mit Checklisten und Analysen

Als Unterstützung für das Risikomanagement können Sie die Checkliste zur Betriebsstilllegungnutzen. Funk hilft außerdem bei der Analyse, welche substanziellen Schäden durch einen Versorgungsausfall entstehen können - insbesondere wenn dieser sehr plötzlich eintritt (siehe Kasten).

Im Zuge des Krisenmanagements sollten Unternehmen prüfen, welche Mindestmengen an Strom und Gas sie benötigen, um kritische Prozesse aufrechtzuerhalten. Falls Unternehmen Abwärme produzieren, die als Fernwärme genutzt werden kann, sollten sie die Gasversorger und Netzbetreiber darüber informieren und auch aktualisierte Lastprofile des Standorts zur Verfügung stellen.

Funk ist an Ihrer Seite. Wenn Sie Fragen zu Ihren individuellen Versicherungspolicen oder Ihrem Risikomanagement haben, sprechen Sie uns gern an.

07.12.2022

Ihr Kontakt

Dr. Alexander Skorna Ansprechpartner bei Funk
Dr. Alexander Skorna
+49 40 35914-0
E-Mail-Kontakt
Fabian Konopka Ansprechpartner bei Funk
Fabian Konopka
+49 40 35914-0
E-Mail-Kontakt