"Der Mensch spielt die zentrale Rolle"

Dem Thema Compliance muss sich heute jedes Unternehmen stellen. Warum das nicht nur lästige Pflicht, sondern lohnend sein kann, erläutert Compliance-Expertin Dr. Kathrin Niewiarra.

In den Medien liest man aktuell viel über Compliance-Themen – etwa im Zusammenhang mit VW oder der FIFA. Wie kommt es, dass Compliance in den vergangenen Jahren so sehr an Prominenz gewonnen hat?

Compliance ist natürlich keine neue Erfindung. Was sich aber geändert hat, ist das Bewusstsein für diese Thematik und dabei insbesondere das Verständnis von Compliance in einem erweiterten gesellschaftlichen Kontext. In Zeiten zunehmender Globalisierung werden auch immer häufiger staatliche Regulierungsaufgaben auf private Unternehmen verlagert.

Geschuldet ist die oben angesprochene Entwicklung aber sicher auch dem Anstieg der regulatorischen Anforderungen – sowohl Manager als auch Mitarbeiter stehen in Compliance-Fragen vor immer neuen Herausforderungen. Und schlussendlich zeigt sich, dass Compliance ein (Wirtschafts-)Faktor ist – bei den oben genannten Skandalen geht es ja um hohe Summen und enorme Reputationsschäden.

 

In welchen Bereichen müssen sich Unternehmen heute fit machen für Compliance-Themen?

Diese Frage lässt sich so pauschal nicht beantworten. Es gibt kein „one fits all“. Der Ausgangspunkt für eine effektive und effiziente Compliance ist eine auf das Unternehmen zugeschnittene Compliance-Risikoanalyse. Darauf aufbauend kann entschieden werden, welche Maßnahmen in welchen Bereichen getroffen werden sollten. Dem Unternehmen sollte aber bewusst sein, dass allein ein Compliance-Management-System wie aus dem Buche nicht ausreicht. Compliance muss als Teil der Unternehmens-und Führungskultur gelebt werden – sonst werden nur Papiertiger und unnötige Kosten produziert.

Compliance-Verstöße haben ihren Ursprung beim Menschen – es sind aber auch Menschen, die Regelverstöße verhindern, meistern und daraus lernen

 

Welche Rolle spielt der Mensch beim Thema Compliance?

Die zentrale. Das Wissen um und über Compliance ist die notwendige Grundlage, um den täglichen Balanceakt erfolgreich zu meistern – der Mensch ist aber die ausschlaggebende Zutat. Er ist der Ursprung eines jeden Compliance-Verstoßes und derjenige, der ihn verhindern, meistern und aus ihm lernen kann. Compliance-Regeln muten mitunter etwas technokratisch an. Als Unternehmer könnte man die Lust daran verlieren.

 

Warum lohnt es sich dennoch, sich damit zu befassen?

Spätestens seit dem tragischen Fall des ehemaligen Siemens-CFO Heinz-Joachim Neubürger sollte jedem Manager bewusst sein, dass ihn als Unternehmenslenker die Rechtspflicht trifft, ein Compliance-System im Unternehmen zu etablieren – ansonsten droht die persönliche Haftung. Es ist also nicht nur eine Frage des „Lohnens“, sondern Compliance ist Chefsache und Teil der Führungsverantwortung. Und es gibt eine Korrelation zwischen ethischen und integren Unternehmen und deren Umsatzwachstum.

 

Wie kann man das Thema Compliance mit Leben füllen?

Ausgangspunkt ist auch hier wieder der Mensch – unabhängig von der Hierarchieebene. So ist es wichtig, dass jeder Mitarbeiter für sich erkennen kann, welchen Stellenwert Compliance in seinem Arbeitsalltag hat. Compliance darf nicht abstrakt bleiben oder nur als Verantwortung einer Gruppe von Mitarbeitern, zum Beispiel der Compliance Officer, verstanden werden. Unternehmen sollten Compliance und Werte wie Integrität in ihrer Kultur über einen Wertekanon verankern und kommunizieren, Führungskräfte ethisch korrektes Verhalten vorleben und dafür einstehen – aber auch Belohnungs- und Sanktionsmechanismen sind Teil einer nachhaltigen Implementierung.

 

Wo und wie sollte Compliance in einem Unternehmen verankert sein?

Dies hängt stark vom Unternehmen ab. Ausschlaggebend ist, Compliance als Funktion ernst zu nehmen. Dies bedeutet nicht, eine riesige und teure Organisation zu etablieren. Vielmehr sollte der Bereich Compliance als eine verantwortungsvolle Führungsaufgabe verstanden und Personen mit der Umsetzung betraut werden, die von ihrer Persönlichkeitsstruktur her den Anforderungen des Aufgabenbereiches nicht nur fachlich, sondern auch menschlich gewachsen sind.

Wenn die Compliance-Krise da ist – was macht man dann?

Dann hilft es nur, die Ärmel hochzukrempeln, aufzuräumen und den Vorfall ernstgemeint aufzuarbeiten. Als eine der wichtigsten Lehren gilt es sicher mitzunehmen, dass alleine das Vertrauen auf ein funktionierendes Compliance-Management-System nicht ausreicht, sondern es einer gelebten Unternehmenskultur bedarf, die den Boden für nachhaltiges, integres und compliantes Verhalten schafft. Es darf nicht ausschließlich auf Compliance und Regelwerke gesetzt werden, sondern es muss an der Überzeugung gearbeitet werden, dass Compliance und ethisches Verhalten sich lohnen.

 

Warum tun sich Unternehmen so schwer mit der Einführung von Compliance-Systemen?

Es gibt ja zahlreiche Studien, die darauf hindeuten, dass Unternehmen sich wider besseres Wissen gegen die Einführung eines Compliance-Systems sträuben. Nach wie vor herrschen Unsicherheit und auch eine gewisse Fehleinschätzung bezüglich Kosten und Nutzen eines gelebten Compliance-Management-Systems. Nach einer Benchmark-Studie über multinationale Unternehmen sind die Kosten für Non-Compliance übrigens durchschnittlich 2,65-mal höher als die Investitionen für ein Compliance-Management-System.

 

„Compliance sollte als eine verantwortungsvolle Führungsaufgabe verstanden werden.“
Dr. Kathrin Niewiarra

 

 

Dr. Kathrin Niewiarra

ist Rechtsanwältin und Attorney-at-Law (NY). Nach anwaltlicher Tätigkeit in den USA und Deutschland sowie Managementfunktionen in Konzernen verfolgt sie seit September 2012 ihre Geschäftsidee der ganzheitlichen Compliance-Beratung unter der Marke bleu&orange®. Sie fungiert außerdem als Ombudsfrau, Interims-Managerin und Rednerin. Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin des Compliance Channels, eines Web-TV-Senders im Themenspektrum Ethik und Compliance, der seit September 2015 online abrufbar ist. Ihr aktuelles Buch „Balanceakt Compliance. Recht und Gesetz sind nicht genug – ein interdisziplinärer Leitfaden für Entscheider“ ist bei FAZ Buch erschienen.

Empfehlen